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E-Books "wie Essen von einem Pappteller"

Buchcover Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Suhrkamp Taschenbuch (mit Porträtfoto von Walter Benjamin)
Broschur, 112 Seiten, 5 Euro

Neulich fiel mein Blick - während kunstvoller Yoga-Verrenkungen - zufällig aufs Bücherregal, ich unterbrach und zog ein Taschenbuch heraus. Oh, Walter Benjamins klassischer Aufsatz über "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit"! Lange nicht gelesen!

 

Als ich zu lesen begann, dachte ich bald: "Wie schön es doch ist, einfach irgendein Buch aus dem Bücherregal zu ziehen und wiederzuentdecken!" Dagegen war mein E-Reader ein Dateienfriedhof;  wenn ich ein E-Book lediglich anlas, würde ich es nie wiederfinden in meiner "digitalen Bibliothek". In unserem Wohnzimmer hingegen setzt man sich einfach, liest ein paar Seiten in einem Buch, blättert in ein anderes hinein, und die Bücher warten freundlich auf den nächsten Besuch.

 

Wenn Walter Benjamin schreibt, "die technische Reproduktion des Kunstwerkes" sei "etwas Neues, das sich in der Geschichte intermittierend, in weit auseinanderliegenden Schüben, aber mit wachsender Intensität durchsetzt", denke ich zuerst an den wunderbaren Roman "Rot ist mein Name", in dem Orhan Pamuk beschreibt, wie sich das osmanische Reich im 16. Jahrhundert gegen den aufkommenden Buchdruck wehrte, um die hohe Kunst der Buchmalerei zu bewahren.

Doch längst reden wir nicht mehr über Buchmalerei, gedruckte Bücher oder schnellebige Taschenbücher, sondern über E-Books als nächste Stufe der Reproduzierbarkeit. Ein Klick, und das Gesamtwerk von Virginia Woolf ist heruntergeladen. Und schmerzlich spürt man mit Benjamin: "Die Umstände, in die das Produkt der technischen Reproduktion des Kunstwerks gebracht werden kann, mögen im übrigen den Bestand des Kunstwerks unangetastet lassen - sie entwerten auf alle Fälle sein Hier und Jetzt."

 

Vielleicht liegt es auch an dieser Entwertung, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Juli fragte: "Ist das E-Book ein Auslaufmodell?" ("Es bringt ja nichts, drum herumzureden: Das E-Book ist unbeliebt.") und den Essayisten Nassim Nicholas Taleb zitierte, das Lesen von E-Books sei "wie Essen von einem Pappteller“.

 

Gut, man muss vielleicht nicht jedes zeitgeistige Buch gedruckt besitzen. Der 14-jährige Sohn einer Freundin bat sie vor kurzem: "Könnt Ihr eure Bücher bitte selbst entsorgen, bevor Ihr sterbt?" Er hatte zuvor im Verwandtenkreis mitbekommen, wie lange sich Haushaltsauflösungen mit vielen Büchern hinziehen. Verkaufen lohnt sich oft nicht, ausgewählte Klassiker behält man, und schließlich kommt der Entrümpler und bringt die Bestseller früherer Jahrzehnte - nicht immer zu Unrecht - zum Papiermüll.

Die Antwort meiner Freundin: "Nö. Das muss du schon selbst machen als Erbe."
Und dann, zur Güte: "Vielleicht die Krimis schon mal ..."

Wir wünschen Ihnen jedenfalls viel Freude mit Ihren gedruckten Büchern -
die Sie bei der Buchhandlung Domstraße bestellen und kaufen können.

Stephanie Sellier,
Online-Redaktion